Frankfurt, 11. August 2022 – Atom – einst Symbol des wissenschaftlichen Fortschritts, dann Schreckgespenst des Krieges, anschließend zögerlich vermeintlicher Garant einer zuverlässigen Energieversorgung, dabei Auslöser des erbitterten Widerstands gegen die parlamentarische Demokratie, nach mehreren Schreckensszenarien von Harrisburg über Tschernobyl bis Fukushima Einordnung als gestrige Technologie mit dem Ziel des Ausstiegs aus der Kernkraft und auf einmal wieder Symbol der Verheißung einer nachhaltigen und langfristigen Energieversorgung der Menschheit. Mit diesem einen Satz, der die Geschichte der Atomenergie zusammenfasst, beginnt das neu erschienene Buch „Die Rückkehr der Kernkraft – Warum Atomenergie unsere Zukunft ist“ (ISBN 978-3-947818-95-2). Die wackelige Versorgungslage mit Gas und damit auch Strom in Folge des russischen Einmarschs in die Ukraine gibt der „Rückkehr der Kernkraft“ in Deutschland eine Aktualität, die noch vor einem halben Jahr schwer vorstellbar war, teilt die UNO-Denkfabrik Diplomatic Council mit, in deren Verlag das 204-seitige Werk mit dem Kernphysiker Marc Ruberg als Hauptautor erschienen ist.
Von der industriellen Kernfusion bis zu Mini-Atomkraftwerken
Die These des Buches: Sehr vieles deutet auf eine verstärkte friedliche Nutzung der Kernenergie in den späten 2020er und vor allem ab den 2030er Jahren hin. Sie wäre allem Risiko zum Trotz und natürlich nur, solange keine gravierenden atomaren Unfälle auftreten, eine Antwort auf die zunehmende Umweltbelastung durch die fossile Energiegewinnung. Neue Technologien ebnen den Weg für eine Renaissance der zivilen Atomenergienutzung. Das Spektrum reicht von großindustriellen Kernfusionsreaktoren bis hin zu einer neuen Generation von Mini-Atomkraftwerken aus der Massenproduktion. Im Buch wird der Weg von der Entdeckung der Radioaktivität über den Einsatz von Atombomben, der Entwicklung unterschiedlicher Kraftwerksreaktoren zur zivilen Atomnutzung und dem erbitterten außerparlamentarischen Widerstand gegen die Atomkraft in der Bundesrepublik Deutschland bis hin zur nach wie vor ungeklärten Frage nach der Lagerung des Atommülls beschrieben. Ein Schwerpunkt liegt indes auf den zwei Aspekten, die die These von der „Rückkehr der Kernkraft“ stützen: die Entwicklung neuer Mini-AKWs und die mögliche Nutzung der Kernfusion zur Energiegewinnung.
Kompakte Atomreaktoren auf dem Vormarsch
Ein ganzer Reigen neuer Start-up-Firmen ist angetreten, mit kompakten Kernkraftwerken und innovativen Betriebskonzepten die Branche neu aufzumischen. Dazu gehören die noch recht jungen Unternehmen TerraPower, NuScale und Okli, aber auch der angestammte Name Rolls-Royce. Sie alle arbeiten an sogenannten „Small Modular Reactors“ (SMRs), Kernspaltungsreaktoren, die deutlich kleiner und kompakter als herkömmliche AKWs sind. Dadurch können sie in einer Fabrik hergestellt und anschließend an einen Montageort gebracht werden, müssen also im Unterschied zu traditionellen Kernkraftwerken nicht am Betriebsort gebaut werden. Das SMR-Verfahren ist deutlich kostengünstiger, risikoärmer und schneller umsetzbar.
Das Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), eine selbstständige Bundesoberbehörde des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), kam allerdings 2021 in einem Gutachten zu dem Schluss: „Keine der diskutierten Technologien ist derzeit und absehbar am Markt verfügbar.“ „Das wird sich ändern“, prognostiziert Kernphysiker Marc Ruberg in seinem neuen Buch. Er führt dafür vor allem vier Gründe an: den technischen Fortschritt bei der SMR-Produktion, das Gewinnstreben der damit befassten Unternehmen, hinter denen teilweise mächtige Investoren wie etwa Bill Gates stecken, die unverkennbare Unterstützung dieser Firmen durch die Regierung der USA und anderer Staaten im Sinne einer Private-Public-Partnership sowie das politische und gesellschaftlich weit verbreitete Streben nach einer zuverlässigen Energieversorgung abseits fossiler Energiequellen. In diesem Sinne wird in dem Buch auch die Diskussion um die Anerkennung der Kernkraft als „grüne Energie“ in der Europäischen Union eingeordnet.
Militärische und zivile Nutzung gehen Hand in Hand
Die atomaren Kleinreaktoren erfahren laut Ruberg eine starke militärische Förderung. Er verweist beispielhaft auf das Pentagon, das die Erprobung sogenannter Mikroreaktoren mit maximal 20 Megawatt Leistung bis zum Jahr 2027 plant. Die Minimeiler können per Lkw oder Flugzeug transportiert und damit praktisch überall binnen kürzester Zeit in Betrieb genommen werden. „Die Entwicklung militärischer und ziviler Small Nuclear Reactors wird Hand in Hand gehen, bis sich die Fertigung im industriellen Maßstab auch kommerziell lohnt“, prognostiziert Marc Ruberg. Im Buch „Die Rückkehr der Kernkraft“ heißt es dazu wörtlich: Das Verteidigungsministerium der USA könnte sich zu einem Katalysator für kompakte Kernkraftwerke entwickeln. Ähnlich wie die Entstehung des Internet maßgeblich auf Projekte des Pentagons zurückgeht und wir vermutlich ohne US-Militärmittel heute noch kein Internet hätten, wäre eine Forcierung der Kernkraft durch militärische Interessen – sicherlich nicht nur in den USA – möglicherweise die Grundlage für eine neue Renaissance der Atomkraft, nicht (nur) als Atombomben, sondern vor allem auch zur Energieversorgung.
Kommerzielle Nutzung der Kernfusion ist absehbar
Neben der Miniaturisierung von Kernspaltungsreaktoren sagt Kernphysiker Ruberg in seinem Buch eine kommerzielle Nutzung der Kernfusion voraus, ein Verfahren, das bislang ausschließlich in Atomwaffen zum Einsatz kam. Das Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es viele physikalisch und technisch komplexe Sachverhalte leicht verständlich erläutert und in Zusammenhang rückt. Das Prinzip der Kernfusion wird wie folgt erklärt: Es ist eine atomare Kernreaktion, bei der je zwei Atomkerne zu einem neuen Kern verschmelzen. Damit die Fusion zustande kommt, bedarf es eines glühend heißen Umfelds, so heiß wie „unsere“ Sonne. Denn „eigentlich“ stoßen sich Atomkerne ab, weil sie jeweils über eine positive elektrische Ladung verfügen. Man nennt das die sogenannte Coulombbarriere. Nur wenn die Kerne mit hoher Energie aufeinanderprallen, wird diese Barriere überwunden und die Anziehungskraft der Kerne überwiegt, so dass sie verschmelzen. Von entscheidender Bedeutung für das Zustandekommen einer Fusion ist der Wirkungsquerschnitt, das Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass zusammenstoßende Kerne miteinander reagieren. Man spricht von thermonuklearen Prozessen, die in Sternen wie der Sonne und in Fusionsbomben unter extremen Druck und extremer Hitze ablaufen. Die Herausforderung für die zivile Nutzung der Kernfusion besteht darin, den notwendigen Druck und die erforderliche Hitze dauerhaft aufrecht zu erhalten, damit ein Fusionskraftwerk rund um die Uhr läuft. Das ist mit Stand 2022 noch unmöglich, aber es zeichnet sich ab, dass es künftig gelingen wird, Fusionskraftwerke zu konstruieren. In den Kernfusionsreaktoren der Zukunft sollen Atomkerne von Deuterium (schweres Wasser) und Tritium (überschweres Wasser) zu einem Heliumkern verschmelzen, unter Freisetzung eines Neutrons sowie eines ungeheuren Maßes an Energie, das für die Stromerzeugung nutzbar werden soll. An der Entwicklung von Kernfusionsreaktoren wird, soweit bekannt, in den USA, in Frankreich (also der EU), Südkorea und China gearbeitet, wobei zahlreiche weitere Länder als Forschungspartner am französischen ITER-Projekt (International Thermonuclear Experimental Reactor) partizipieren.
Profileration: Zivile und militärische Nutzung Hand in Hand
Das Buch ist zwar der friedlichen Nutzung der Kernenergie gewidmet, beleuchtet jedoch ebenso den Aspekt der Profileration, also atomare Waffen. Die Ohnmacht der internationalen Organisationen bei der Atomkontrolle, allen voran die Machtlosigkeit der Vereinten Nationen, wird in dem Werk anklagend beschrieben. Demnach messen nicht einmal die USA der UNO oder der IAEA (International Atomic Energy Agency) eine ernsthafte Bedeutung zu, es sei denn, sie können diese für ihre eigenen politischen Belange instrumentalisieren. Die zweite große Atommacht Russland hält sich ebenso wenig an internationale Absprachen und Vorgaben wie die aufstrebende Nuklearmacht China.
Kernkraft für Mond und Mars
Wie eng die zivile und die militärische Nutzung der Kernkraft zusammenhängen, zeigen nach Einschätzung von Marc Ruberg die Weltraumpläne der USA. So kündigte die US-Raumfahrtbehörde NASA Ende 2021 eine Ausschreibung über ein Kernkraftwerk auf dem Mond an. Die Überlegung: Wenn eines Tages Menschen auf dem Mond leben sollen, dann müssen sie vor Ort auch mit Energie versorgt werden. Ruberg schätzt: „Reichlich Energie wird der Schlüssel für die künftige Erforschung des Weltraums sein. Daher wird die Kernkraft eine Schlüsselrolle bei der künftigen Energieversorgung von Mond und Mars spielen.“
Atommüll für eine Million Jahre
Ein eigenes Kapitel ist der Entsorgung atomarer Abfälle gewidmet. Dazu heißt es: Seit mittlerweile über 50 Jahren türmt sich der radioaktive Kehricht rund um den Globus auf. Wieviel Atommüll weltweit herumliegt, weiß niemand genau, nicht einmal die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO. Schätzungen zufolge ist die Welt mit rund 450.000 Tonnen radioaktivem Unrat ins Jahr 2022 gegangen, davon 18.000 Tonnen aus Deutschland.
Autor Marc Ruberg warnt: „Ein Problem ist die aus menschlicher Sicht extrem lange Halbwertszeit, das heißt, der Zeitraum, in dem die Hälfte des jeweiligen Stoffs zerfallen ist. Von Plutonium-239 etwa, das in den Brennstäben zurückbleibt, ist erst nach über 24.000 Jahren die Hälfte weg. Gelangen nur Millionstel Gramm davon in den menschlichen Körper, lagert es sich in Lunge, Leber und Skelett ab. Jod-129, ebenfalls im Atommüll enthalten, hat gar eine Halbwertszeit von 16 Millionen Jahren. Es sind unter anderem diese für uns Menschen unbegreifbaren Zeiträume – neben der unsichtbaren Strahlung –, welche die Atomkraft für viele Menschen so unheimlich macht.“ Über die „Endlagerung“ von Atommüll in Deutschland heißt es im Buch: Seit den 1980er Jahren gilt es am sichersten, den strahlenden Müll auf immer und ewig im Erdreich zu versenken – in Behältern aus Stahl, eingebettet in Sarkophage aus Beton und umgeben von wärmeresistentem Gestein. Die ideale Lage der Atomgruft befindet sich etwa 300 Meter unter der Erde, tief genug, um „für immer“ zu verschwinden und Strahlung an der Oberfläche auszuschließen, aber nicht so tief, dass der Bergwerksbetrieb wegen zu hoher Temperaturen zu viel Aufwand (und Geld) kosten würde. Die Gesteinsschicht mit dem eingelagerten Müll soll mindestens 100 Meter mächtig sein. Zudem ist darauf zu achten, dass so wenig Grundwasser vorhanden ist, dass es mindestens 317 Jahre benötigt, um einen Meter voranzukommen; das entspricht weniger als zehn Milliardstel Meter pro Sekunde. Und natürlich – und das mag für jeden Laien verrückt klingen – man muss sicher sein können, dass diese Umweltbedingungen für mindestens eine Million Jahre erhalten bleiben. Die Gesetzgebung eines Landes – der Bundesrepublik Deutschland –, das noch nicht einmal 75 Jahre alt ist, reicht tatsächlich eine Million Jahre in die Zukunft. Das setzt viel Vertrauen des Staates in sich selbst voraus – und in die Geologie: Schließlich dürfen in diesem langen Zeitraum möglichst keine Erdbeben, Vulkane oder Gasentweichungen in dem Lagergebiet auftreten.
In Europa haben sich mit Stand 2022 nur drei Staaten überhaupt für einen Standort für ein Endlager entschieden: Finnland, Schweden und Frankreich. In Deutschland gibt es zwar eine gesetzliche Grundlage und eine festgelegte mehrstufige Vorgehensweise sowie Ämter und Staatsbetriebe, die sich um das Thema kümmern, aber der Ausgang wird noch auf Jahre hinweg ungewiss sein. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat nach einer jahrelangen Suche 2020 insgesamt 90 über die Bundesrepublik verteilte Gebiete ausgemacht, die geologisch geeignet erscheinen, um strahlenden Atommüll für eine Million Jahre sicher zu lagern.
Autor Marc Ruberg zieht Resümee: „Die Gefahren der Kernkraft sind unübersehbar hoch. Aber die Verheißungen sowohl für die Energieversorgung als auch für militärische Zwecke werden alle Bedenken überwiegen. Daher wird die Nutzung der Atomenergie unsere Zukunft maßgeblich bestimmen, ob man das nun für richtig oder für falsch hält. An der aktuellen und vor allem zukunftsgerichteten Auseinandersetzung mit diesem Thema kommen wir jedenfalls nicht vorbei.“
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