Wirtschaftsexperte Dr. Dorian Hartmuth: „Vor allem der Mittelstand wird von TTIP profitieren“. Wenn TTIP nicht durchsetzbar ist, empfiehlt sich „TTIP light“
25. April 2016 – Das Diplomatic Council (DC, www.diplomatic-council.org), ein globaler Think Tank, der die Vereinten Nationen berät, bezeichnet das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP als „historische Chance“ sowohl für Europa als auch die USA. Die „Denkfabrik“ drängt auf die zügige Ratifizierung des TTIP-Abkommens noch vor den Wahlen in den USA und vor dem EU-Referendum Großbritanniens. „Es wäre fatal, wenn ein Jahrhundertabkommen wie TTIP in Abhängigkeit gerate von Wahlkämpfen und Parteipolitik“, mahnt Dr. Dorian Hartmuth, Direktor für internationale Wirtschaftsbeziehungen beim Diplomatic Council. Er verweist beispielhaft auf eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, die die Folgen einer solchen Partnerschaft für 126 mittelbar oder unmittelbar betroffene Staaten untersucht hat, und zu den Schluss gelangt, dass sowohl die USA als alle EU-Mitgliedstaaten von TTIP in erheblichem Umfang profitieren würden.
„Wasch mich, aber mach mich nicht nass“
Zwar erfreue sich TTIP „derzeit bei der Bevölkerung dies- und jenseits des Atlantiks keiner großen Beliebtheit“, geht Hartmuth auf aktuelle Umfrageergebnisse der Bertelsmann Stiftung ein, die eine Ablehnung durch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung darstellten. „Aber die überwiegende Mehrheit ist sich leider auch über die umfassenden Auswirkungen von TTIP wohl nicht bewusst“, interpretiert Dr. Dorian Hartmuth. So halten laut Umfrage 61 Prozent der Deutschen den verstärkten Handel mit den USA für „eine gute Sache“, in den USA wollen sogar 69 Prozent den Handel mit Deutschland intensivieren. „Es ist wohl einer gelinde gesagt wenig überzeugenden Informationspolitik zu verdanken, dass die Mehrheit zwar für den freien Handel, aber gegen das Freihandelsabkommen ist“, stellt der Wirtschaftsdirektor des Diplomatic Council fest, und ergänzt: „Geradezu absurd erscheint es, dass sich eine Exportnation wie Deutschland gegen den Freihandel zu stellen scheint. Das erinnert an das kindische `Wasch mich, aber mach mich nicht nass´.“
Mittelstand profitiert am meisten
Mit TTIP könnten Unternehmen aus der EU erstmals an öffentlichen Ausschreibungen von US-Behörden teilnehmen. Für mittelständische Firmen, die in die USA exportieren, würden Zölle von teilweise über 100 Prozent durch TTIP vollständig entfallen. „Es gibt 50 Millionen kleine und mittelständische Firmen in den USA und der EU, aber nur eine gute Viertelmillion davon sind in den transatlantischen Handel eingebunden. Da die heutigen Doppelprüfverfahren mit ihrer zweifachen Bürokratie für zahlreiche Produkte wegfielen, könnten sich gerade Mittelständler und Startups viel leichter und schneller auf den Märkten diesseits und jenseits des Atlantiks etablieren“, erklärt Dr. Dorian Hartmuth.
Verhandlungsmandat liegt bei der EU-Kommission
Der Vorwurf der mangelnden Verhandlungstransparenz ist laut Dr. Dorian Hartmuth zwar „nachvollziehbar, aber unbegründet“. Er erklärt: „Die EU-Kommission hat das Verhandlungsmonopol und daraus ergibt sich zwangsläufig, dass etwa der deutsche Bundestag schlichtweg nicht zuständig ist. Das hat nichts mit TTIP zu tun: Völkerrechtliche Verträge wurden schon immer von der Legislative verhandelt und nicht von den Parlamenten, die – ebenfalls schon immer – am Ende nur zustimmen oder ablehnen konnten.“ Nach Einschätzung des Wirtschaftsdirektors gäbe es „rechtlich überhaupt keinem Spielraum für eine Aufweichung oder gar Auflösung des Verhandlungsmandats der EU-Kommission“. Dr. Dorian Hartmuth: „Der ehrliche Umgang miteinander führt wohl auch zu der Einsicht, dass Verhandlungen, in die alle Parlamente aller EU-Mitgliedsstaaten sowie die EU-Parlamentarier selbst einbezogen würden, erst recht niemals zum Abschluss eines wie auch immer gearteten Völkerrechtsabkommens der Europäischen Union führen würden. Die EU wäre damit faktisch außenpolitisch lahmgelegt.“
„TTIP light“ als Ausweg
Als „Ausweg aus der jetzigen Sackgasse“ empfiehlt Hartmuth der EU-Kommission und der US-Regierung unter Präsident Obama zumindest den Abschluss eines TTIP-Light-Abkommens, aus dem die derzeit noch strittigen Fragenkomplexe etwa zum Investitionsschutz, zum Datenschutz und zum Lebensmittelrecht zunächst herausgenommen werden. „Aber lasst uns doch wenigstens die Zollschranken niederreißen und die Regulierungen weitgehend harmonisieren“, appelliert Dr. Dorian Hartmuth an die Verhandlungsführer. Er gibt ein Beispiel: „Wir brauchen keine unterschiedliche Normen für die neu aufkommenden Generationen der selbstfahrenden Elektro-Autos, gleichgültig, ob diese von BMW, Daimler, Tesla oder vielleicht Apple kommen. Hier müssen vielfältige neue Infrastrukturen geschaffen werden und es liegt im Interesse aller Beteiligten, hierfür USA-EU-weit einheitliche Normen zu schaffen. Die meisten dieser Wagen werden auf lange Sicht sowieso in China und Indien auf den Straßen fahren.“ Der Wirtschaftsdirektor des Diplomatic Council verweist darauf, dass „der Rest der Welt natürlich auch weiterhin für sich günstige Freihandelszonen schafft und nicht auf die EU wartet“. Er verweist beispielhaft auf das ASEAN-China-Freihandelsabkommen, das mit über 1,8 Milliarden Einwohnern die bevölkerungsreichste Freihandelszone der Welt etabliert hat, indem gut 90 Prozent aller Zölle schlichtweg abgeschafft wurden. Gemessen am Handelsvolumen stellt es die drittgrößte Freihandelszone nach der Europäischen Union und der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA dar. „Viele der kleineren ASEAN-Länder hatten naturgemäß auch Bedenken gegen den Bund mit Greater China. Aber sie haben diese Bedenken überwunden – und genau das sollten wir auch tun“, fordert Dr. Dorian Hartmuth.
Das Diplomatic Council (UNO reg.) ist ein bei den Vereinten Nationen mit Beraterstatus akkreditierter globaler Think Tank zur Verbindung von Diplomatie, Wirtschaft und Gesellschaft. Hierzu verknüpft das Diplomatic Council ein weltweites Wirtschaftsnetzwerk mit der Ebene der diplomatischen Kommunikation. Als Mitglieder sind gleichermaßen Diplomaten und Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie verantwortungsbewusste Unternehmen, wissenschaftliche Forschungs- und akademische Bildungseinrichtungen willkommen.
Weitere Informationen: Diplomatic Council (UNO reg.), E-Mail: info@diplomatic-council.org, Web: www.diplomatic-council.org
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