Offener Brief der Generalsekretärin des Diplomatic Council, Thi Thai Hang Nguyen, selbst Flüchtling aus dem Vietnamkrieg (1980). Sie steht für Interviews zur Verfügung (deutsch oder englisch), um zu helfen, eine positive Flüchtlingsstimmung in Deutschland zu erzeugen, die sie für dringend notwendig hält, „damit unser Land nicht kippt“.
4. September 2015 – Das Diplomatic Council (DC, www.diplomatic-council.org), ein bei den Vereinten Nationen mit Beraterstatus akkreditierter globaler Think Tank, ruft angesichts der Flüchtlingstragödie zur Unterstützung der UN High-Commission on Refugees (UNHCR) auf. Diese nimmt Spenden über den Verein UN-Flüchtlingshilfe e.V. entgegen: Konto 2000 88 50 – Sparkasse KölnBonn – BLZ 370 501 98, IBAN: DE78 3705 0198 0020 0088 50, BIC: COLSDE33).
“Beinahe 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht, mehr als jemals zuvor in den letzten 20 Jahren. Hilfe ist ein Gebot der Menschlichkeit”, erklärt die Generalsekretärin des Diplomatic Council, Thi Thai Hang Nguyen. Sie kam selbst 1980 als Flüchtling aus dem Vietnamkrieg in einer „Nussschale“ über das Meer, wurde von der Cap Anamur gerettet und begann ihr Leben in Deutschland in einem Auffanglager.
Aus ihrem Erfahrungshintergrund hat sie einen persönlichen Appell verfasst:
„Vor 36 Jahren musste meine Familie unser kriegszerrüttetes Land verlassen, in der Hoffnung, dem Terror zu entkommen, und woanders eine sicherere und friedlichere Heimat zu finden.
Nach einer langen Irrfahrt im südchinesischen Meer und Monaten voller Angst, Grauen und Elend rettete uns schließlich die Cap Anamur – ein Frachter, den das private Hilfskomitee “Ein Schiff für Vietnam“ damals zu einem Hospitalschiff umgebaut hatte.
Das Komitee war von dem deutschen Journalisten Rupert Neudeck und gleichgesinnten Personen ins Leben gerufen worden und plante nicht nur die Rettung der vietnamesischen Flüchtlinge, sondern auch deren Aufnahme in Deutschland. Die deutschen Behörden lehnten zunächst die Aufnahme dieser Flüchtlinge ab, waren aber schließlich, aufgrund des öffentlichen Drucks, zu einem Kompromiss bereit. Das zeigt beispielhaft, dass es Wirkung entfacht und nicht vergebens ist, wenn die Bevölkerung eines Landes Zivilcourage zeigt und sich in aller Öffentlichkeit für die Neuankömmlinge einsetzt.
Damals schwappte eine Welle der Hilfsbereitschaft über das Land. Der Rückhalt der deutschen Bevölkerung für diese Rettungsaktion war stark. Mit großzügigen Spenden unterstützten die Deutschen die Hilfsaktion und solidarisierten sich mit den Kriegsflüchtlingen aus Vietnam auf friedlichen Demonstrationen.
In diesen Tagen gibt es auch wieder Demonstrationen – allerdings nicht nur für, sondern leider auch gegen Flüchtlinge. Diese Demonstrationen haben sich mittlerweile vielerorts zu gewaltsamen Randalen und Hasszügen entwickelt. Beinahe täglich werden Flüchtlingsunterkünfte angezündet, noch bevor sie ihren Zweck erfüllen können. Die Stimmung ist vergiftet und hasserfüllt.
Es fällt mir sehr schwer, zu begreifen, was gerade passiert. Ich wünsche mir die deutsche Bevölkerung, die mir und meiner Familie damals vor 35 Jahren das Leben gerettet hat. Dass ich ein Leben in Frieden, Freiheit und Sicherheit führe, verdanke ich allein dem deutschen Volk. Ein Volk, das sich durch Toleranz, Hilfsbereitschaft und Gutherzigkeit ausgezeichnet hat. Ein Volk, das mit leuchtendem Beispiel vorangegangen war, und das sich seiner humanitären Verpflichtung bewusst war und diese übererfüllt hat. Ein Volk, das notleidende Menschen mit Empathie und Herzlichkeit empfing und diese in Deutschland willkommen hieß.
In den letzten Wochen war von dieser Willkommenskultur wenig zu spüren. Stattdessen werden die heutigen Flüchtlinge von radikalen Fremdenhasser empfangen und bedroht und müssen hier in Deutschland – nachdem viele von ihnen eine dramatische Flucht überlebt haben – erneut um Leib und Leben bangen. Noch mehr Sorgen macht mir allerdings, dass selbst “normale“ Bürger, die es besser wissen müssen, sich dem Fremdenhass anschließen.
Kein Mensch flüchtet freiwillig aus seiner Heimat. Flucht bedeutet Gefahr für Leib und Leben, Armut, Krankheit, Hunger, Durst, Kälte und oftmals unvorstellbare Grausamkeiten. Wer begibt sich freiwillig auf ein übervolles Boot mit der Aussicht, über Wochen unter schlimmsten Verhältnissen leben zu müssen? Mit der Sorge, zu verhungern, zu verdursten oder an einer Krankheit zu sterben? Mit der Angst zu ertrinken, von Piraten überfallen oder von Schleppern über Bord geworfen zu werden? Manche Menschen töten andere Mitflüchtlinge, um selber zu überleben und andere bringen sich selber um, weil sie den Mut verloren haben. Wie verzweifelt und traumatisiert muss eine Mutter sein, die vor den Augen ihrer fünf kleinen Kinder über Bord springt, weil sie missbraucht und misshandelt wurde und keinen Ausweg mehr sah?
Ich habe das alles gesehen und erlebt und ich kann versichern, dass ich nicht freiwillig ein Flüchtling geworden bin. Ich habe mir dieses Schicksal nicht ausgesucht, sondern wurde vom Krieg fremdbestimmt. Ich habe den Krieg nicht gewollt und nicht verursacht. Ich habe genug vom Krieg – für den Rest meines Lebens. Und genauso wenig wollen die Menschen aus Syrien den Krieg in ihrem Land. Ich bin mir sicher, dass sie lieber in ihrer Heimat bleiben möchten, denn dort sind sie verwurzelt, dort sind ihre Familien und dort würden sie bleiben, wenn sie nicht um ihr Leben fürchten müssten.
Der erste Gedanke eines Kriegsflüchtlings ist nicht: Wie kann ich Geld vom deutschen Staat erhalten? Nein, sein erster Gedanke ist: Wie überlebe ich diesen Tag – und dann den nächsten und den nächsten…?
Ich bin so dankbar für die Hilfe und Großzügigkeit des deutschen Volkes und ich habe mich mein Leben lang bemüht, etwas zurückzugeben. Ich bin seit fast 20 Jahren berufstätig und leiste meinen Beitrag zum Wohlergehen des deutschen Staates. Ich denke deutsch, ich fühle deutsch, ich bin deutsch. Und das, obwohl ich einmal ein ausländischer Kriegsflüchtling war.
Ich bin fest davon überzeugt, dass unter den jetzigen Flüchtlingen viele Menschen sind, die gerne einen Beitrag leisten würden, sofern man ihnen eine Chance gibt. Wir könnten diesen Menschen Arbeit geben, damit sie ihr eigenes Geld verdienen und sich eine neue Zukunft aufbauen können. Wir könnten sie in unsere Gesellschaft und Gemeinschaft integrieren und ihnen die Möglichkeit geben, zum Wohlergehen aller beizutragen. Es sind doch nicht überwiegend dumme Menschen oder Schmarotzer, wie oft behauptet wird, die zu uns kommen.
Seit Wochen lese ich fast täglich von Flüchtlingen, die auf ihrer Reise den Tod gefunden haben, und es tut mir in der Seele weh, weil ich ihr Trauma und ihr Leid kenne. Ich hatte mehr Glück, denn ich bin nicht ertrunken, ich bin nicht qualvoll erstickt und ich wurde vor 35 Jahren freundlich empfangen, als ich im Flüchtlingslager ankam. Die jetzigen Kriegsflüchtlinge riskieren ihr Leben und haben so viel Leid hinter sich, und werden dann hier mit Hass, Brutalität und Ablehnung empfangen. Sie fliehen aus ihrem Land vor dem Tod und werden hier bei uns wieder mit dem Tod bedroht. Das haben sie nicht verdient. Das hat kein Mensch verdient.
Mein Appell geht an die Menschen, die pauschal alle Flüchtlinge ablehnen. Wir müssen besonnen differenzieren zwischen den Migranten, die unberechtigt zu uns kommen, und den Kriegsflüchtlingen, die vor dem Tod fliehen. Es ist unsere humanitäre Verpflichtung und ein Akt der Menschlichkeit, diese Flüchtlinge aufnehmen, sie zu beschützen und ihnen eine Chance geben, in Frieden und Sicherheit zu leben.“
Das Diplomatic Council (UNO reg.) ist ein bei den Vereinten Nationen mit Beraterstatus akkreditierter globaler Think Tank zur Verbindung von Diplomatie, Wirtschaft und Gesellschaft. Hierzu verknüpft das Diplomatic Council ein weltweites Wirtschaftsnetzwerk mit der Ebene der diplomatischen Kommunikation. Als Mitglieder sind gleichermaßen Diplomaten und Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft willkommen.
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